Ehevertrag anfechten: So kippen Sie unfaire Klauseln bei ungleicher Verhandlungsposition
Stellen Sie sich vor, Sie unterschreiben unter emotionalem Druck oder ohne juristische Kenntnisse einen Ehevertrag, der Sie im Scheidungsfall schutzlos stellt. Ein Mandant kam in genau dieser Lage zu uns; wir konnten den Vertrag wegen Sittenwidrigkeit zu Fall bringen. Das deutsche Recht schützt Sie vor Ausbeutung – dieser Artikel zeigt Ihnen, wie.
Das Thema kurz und kompakt
Ein Ehevertrag kann sittenwidrig und damit nichtig sein, wenn er eine Partei einseitig benachteiligt und eine ungleiche Verhandlungsposition ausgenutzt wurde.
Der Bundesgerichtshof prüft Eheverträge in einer zweistufigen Kontrolle: auf ihre Wirksamkeit bei Abschluss (Inhaltskontrolle) und auf ihre Zumutbarkeit bei Scheidung (Ausübungskontrolle).
Ein Verzicht auf Kernrechte wie Betreuungsunterhalt oder den Versorgungsausgleich ist oft unwirksam, besonders wenn ein Partner für die Familie auf seine Karriere verzichtet hat.
Viele glauben, ein einmal unterschriebener Ehevertrag sei unumstößlich. Doch das ist ein Trugschluss, der im Ernstfall existenzbedrohend sein kann. Das deutsche Recht, insbesondere § 138 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), setzt der Vertragsfreiheit klare Grenzen, wo Sittenwidrigkeit beginnt. Eine solche liegt oft vor, wenn ein Partner seine überlegene Position ausnutzt. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in den letzten 20 Jahren die Rechte des schwächeren Partners gestärkt. Wir zeigen Ihnen, welche Anzeichen auf eine ungleiche Verhandlungsposition hindeuten und wie Sie die Anfechtung eines Ehevertrags wegen ungleicher Verhandlungspositionen oder Ausbeutung prüfen lassen können.
Der Mythos des unumstößlichen Vertrags: Die Sittenwidrigkeit als Grenze
Ein Ehevertrag darf die gesetzlichen Regelungen nicht so verändern, dass eine evident einseitige und unzumutbare Lastenverteilung entsteht. [4] Seit einem wegweisenden Urteil des BGH im Jahr 2004 unterliegen Eheverträge einer zweistufigen richterlichen Kontrolle. [5] Zuerst prüft das Gericht die Wirksamkeit des Vertrags zum Zeitpunkt des Abschlusses (Inhaltskontrolle). Hierbei wird untersucht, ob der Vertrag gegen die guten Sitten verstößt, wie in § 138 BGB festgelegt. [3] Zweitens erfolgt eine Ausübungskontrolle zum Zeitpunkt der Scheidung, um zu sehen, ob sich das Festhalten am Vertrag als grob unbillig erweist. [5] Ein Vertrag kann selbst dann als Ganzes sittenwidrig sein, wenn die einzelnen Klauseln für sich genommen noch hinnehmbar wären. [4] Die Gesamtschau aller Regelungen ist entscheidend. Wenn Sie das Gefühl haben, Ihr Ehevertrag könnte unfair sein, ist eine Prüfung der erste Schritt. Diese rechtliche Entwicklung schützt Partner vor Verträgen, die ihre Existenzgrundlage gefährden.
Warnsignale erkennen: Wann liegt eine ungleiche Verhandlungsposition vor?
Eine ungleiche Verhandlungsposition ist der Schlüssel zur erfolgreichen Anfechtung. Gerichte erkennen eine solche Imparität an, wenn ein Partner dem anderen intellektuell, wirtschaftlich oder sozial unterlegen ist und dies ausgenutzt wird. [1] Besonders kritisch wird es, wenn verstärkende Umstände hinzukommen. [4] Gerichte haben in den letzten 15 Jahren immer wieder Verträge gekippt, bei denen solche Ungleichgewichte offensichtlich waren. Achten Sie auf diese typischen Indizien:
Schwangerschaft: Eine Frau, die bei Vertragsunterzeichnung schwanger ist, befindet sich oft in einer emotionalen Zwangslage. [3]
Sprachbarrieren: Ein Partner, der die deutsche Sprache nicht ausreichend beherrscht, kann die Tragweite der Regelungen kaum erfassen. [4]
Bildungs- und Erfahrungsgefälle: Ein erheblicher Unterschied in Alter, Bildung und Lebenserfahrung kann ein starkes Indiz sein. [3]
Wirtschaftliche Abhängigkeit: Wenn ein Partner über keine eigenen Mittel verfügt und vom anderen komplett abhängig ist, wiegt das schwer. [6]
Fehlende Rechtsberatung: Hatte nur der überlegene Partner einen Anwalt, während der andere ohne Beratung unterschrieb, ist das ein klares Warnsignal.
Wenn einer dieser Punkte auf Ihre Situation zutrifft, sollten Sie dringend eine Beratung im Familienrecht in Anspruch nehmen. Die Gerichte bewerten die Gesamtsituation zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses, um eine mögliche Ausbeutung festzustellen.
Unverzichtbare Rechte: Die Kernbereichslehre als Schutzschild
Der Bundesgerichtshof hat mit der sogenannten Kernbereichslehre eine rote Linie definiert, die durch Eheverträge nicht überschritten werden darf. [2] Bestimmte gesetzliche Ansprüche sind so fundamental, dass ein Verzicht darauf in der Regel sittenwidrig und damit nichtig ist. Ein kompletter, kompensationsloser Ausschluss dieser Kernrechte ist fast immer unwirksam. [2] Zu diesem geschützten Kernbereich gehören vor allem drei Säulen:
Unterhalt wegen Kinderbetreuung: Der Anspruch auf Betreuungsunterhalt nach § 1570 BGB kann nicht wirksam ausgeschlossen werden, wenn dadurch der betreuende Elternteil schutzlos gestellt wird. [5]
Unterhalt wegen Krankheit oder Alters: Ein Verzicht auf Unterhalt bei Krankheit (§ 1572 BGB) oder Alter (§ 1571 BGB) ist ebenfalls sittenwidrig, da er die Existenzgrundlage gefährdet.
Der Versorgungsausgleich: Der Ausschluss des Versorgungsausgleichs ist besonders kritisch. Ein Verzicht ist nichtig, wenn ein Partner wegen der Kinderbetreuung auf eigene Erwerbstätigkeit verzichtet und keine eigene Altersvorsorge aufbauen kann. [6]
Diese Lehre verhindert, dass ein Partner durch den Vertrag in eine unzumutbare Lage gerät. Sie stellt sicher, dass die eheliche Solidarität auch bei vertraglichen Regelungen eine Untergrenze hat.
Die richterliche Prüfung: Wie Gerichte unfaire Verträge bewerten
Die Prüfung eines Ehevertrags durch ein Familiengericht erfolgt in zwei Schritten, die seit über 15 Jahren die Rechtsprechung prägen. [5] Zuerst die Inhaltskontrolle: War der Vertrag schon bei Abschluss sittenwidrig? Hier zählt die Situation im Moment der notariellen Beurkundung. Ein klassisches Beispiel: Ein vermögender Unternehmer schließt mit seiner 20 Jahre jüngeren, schwangeren und mittellosen Partnerin einen Vertrag, der sie auf alles verzichten lässt. [3] Ein solches Vorgehen wird von Gerichten oft als Ausnutzung einer Zwangslage gewertet. [1] Danach folgt die Ausübungskontrolle: Ist es zum Zeitpunkt der Scheidung grob unbillig, sich auf den Vertrag zu berufen? [2] Dies kann der Fall sein, wenn eine ursprünglich faire Regelung durch die tatsächliche Lebensgestaltung – etwa eine 20-jährige Ehe mit drei Kindern und Karriereverzicht eines Partners – untragbar wird. [5] Lassen Sie von einem Fachanwalt für Familienrecht prüfen, ob Ihr Vertrag einer solchen Kontrolle standhält.
Ihre Strategie zur Anfechtung: In 5 Schritten zum Recht
Wenn Sie vermuten, dass Ihr Ehevertrag sittenwidrig ist, ist strukturiertes Vorgehen entscheidend. Mit über 10 Jahren Erfahrung in der Mandatsvermittlung empfehlen wir eine klare Strategie. So gehen Sie vor, um die Anfechtung eines Ehevertrags wegen ungleicher Verhandlungspositionen oder Ausbeutung zu prüfen:
Dokumente sichern: Sammeln Sie alle relevanten Unterlagen. Dazu gehören der Ehevertrag selbst, Notarurkunden und, falls vorhanden, Korrespondenz aus der Zeit des Vertragsschlusses.
Beweise sammeln: Rekonstruieren Sie die Umstände der Unterzeichnung. Gab es Zeugen für den ausgeübten Druck? Existieren E-Mails oder Nachrichten, die eine Zwangslage belegen?
Fachanwaltlichen Rat einholen: Suchen Sie umgehend einen spezialisierten Anwalt auf. Die Fristen für eine Anfechtung wegen Irrtums sind kurz, bei Täuschung oder Drohung beträgt sie ein Jahr ab Kenntnis. [2]
Außergerichtliche Einigung anstreben: Ihr Anwalt wird zunächst versuchen, mit der Gegenseite eine neue, faire Regelung zu verhandeln. Dies spart oft Zeit und Kosten von bis zu 50% im Vergleich zu einem Gerichtsverfahren.
Gerichtliche Klärung: Scheitert die außergerichtliche Einigung, wird Ihr Anwalt Klage beim Familiengericht einreichen, um die Nichtigkeit des Vertrags oder einzelner Klauseln feststellen zu lassen.
Ein gezieltes Vorgehen mit Expertenhilfe maximiert Ihre Erfolgschancen erheblich. Zögern Sie nicht, denn Zeit spielt eine wichtige Rolle.
Fazit: Ihr Recht auf Fairness mit einem starken Partner durchsetzen
Ein Ehevertrag ist kein Freibrief für Ungerechtigkeit. Die deutsche Rechtsordnung schützt Sie wirksam vor Ausbeutung und unfairen Benachteiligungen. Wenn Sie sich in einer ungleichen Verhandlungsposition befanden oder Kernbereiche Ihrer Absicherung betroffen sind, stehen die Chancen gut, den Vertrag erfolgreich anzufechten. Warten Sie nicht, bis eine Scheidung die Situation verkompliziert. Eine frühzeitige Prüfung gibt Ihnen Sicherheit und Handlungsoptionen. Wir bei braun-legal verstehen Ihre Situation. Unsere Mission ist es, Sie persönlich mit erfahrenen Anwälten zu verbinden, die Ihre Interessen konsequent vertreten. Lassen Sie Ihren Ehevertrag jetzt professionell prüfen und verschaffen Sie sich Klarheit über Ihre Rechte.
Literatur
FAQ
Mein Partner hat mir kurz vor der Hochzeit mit der Absage gedroht, wenn ich den Ehevertrag nicht unterschreibe. Ist das ein Anfechtungsgrund?
Ja, das kann eine Anfechtung wegen widerrechtlicher Drohung (§ 123 BGB) oder ein starkes Indiz für eine ungleiche Verhandlungsposition im Rahmen der Sittenwidrigkeitsprüfung (§ 138 BGB) sein. Gerichte haben in Fällen, in denen eine hochschwangere Frau unter Druck gesetzt wurde, Verträge für nichtig erklärt. Wir verbinden Sie mit einem Anwalt, der Ihren Fall individuell prüft.
Wir haben im Ehevertrag den Versorgungsausgleich komplett ausgeschlossen. Ich war aber 15 Jahre wegen der Kinder zu Hause. Ist das wirksam?
Ein kompensationsloser Ausschluss des Versorgungsausgleichs ist in der Regel sittenwidrig und nichtig, wenn ein Partner wegen der Kinderbetreuung auf eine eigene Erwerbstätigkeit verzichtet hat. Der BGH schützt hier den Ausgleich von ehebedingten Nachteilen. Lassen Sie uns den passenden Experten für eine genaue Prüfung finden.
Ich habe den Vertrag damals nicht verstanden, weil mein Deutsch schlecht war und kein Dolmetscher anwesend war. Hilft mir das?
Ja, erhebliche Sprachdefizite sind ein klassisches Beispiel für eine unterlegene Verhandlungsposition. Wenn der Notar Sie nicht ausreichend aufklären konnte und Sie die Tragweite der Regelungen nicht verstanden haben, kann der Vertrag wegen Sittenwidrigkeit unwirksam sein. Wir beraten Sie zu den nächsten Schritten.
Was kostet es, einen Ehevertrag prüfen und anfechten zu lassen?
Die Kosten hängen vom Einzelfall ab, insbesondere vom Vermögenswert (Gegenstandswert) und ob eine außergerichtliche Einigung möglich ist oder ein Gerichtsverfahren nötig wird. Eine Erstberatung zur Einschätzung Ihrer Erfolgschancen ist oft zu einem Festpreis möglich. Wir vermitteln Ihnen einen Anwalt, der Ihnen eine transparente Kosteneinschätzung gibt.
Mein Ex-Partner beruft sich auf den Vertrag, obwohl ich nach 20 Jahren Ehe jetzt krank und erwerbsunfähig bin. Was kann ich tun?
Hier greift die sogenannte Ausübungskontrolle. Auch wenn der Vertrag bei Abschluss vielleicht wirksam war, kann es unzumutbar sein, sich heute darauf zu berufen, wenn sich Ihre Lebensumstände unvorhergesehen und drastisch geändert haben. Der Verzicht auf Krankheitsunterhalt ist ein Kernbereich, der stark geschützt ist. Kontaktieren Sie uns für eine persönliche Beratung.
Der Notar hat den Vertrag doch beurkundet. Müsste er nicht neutral sein?
Der Notar hat eine Belehrungspflicht, ist aber kein parteiischer Berater für eine Seite. Er prüft nicht, ob der Vertrag fair ist, sondern nur, ob er rechtlich zulässig ist. Die Gerichte haben aber klargestellt, dass auch ein notariell beurkundeter Vertrag sittenwidrig sein kann, wenn eine ungleiche Verhandlungsposition ausgenutzt wurde.