Arbeitsrecht Wegerisiko: Wer zahlt, wenn der Weg zur Arbeit zur Herausforderung wird?
Ein Mandant rief uns an: Sein Bus fiel wegen eines unangekündigten Streiks aus, er kam 2 Stunden zu spät. Muss der Chef trotzdem zahlen? Die Antwort liegt im Arbeitsrecht Wegerisiko.
Das Thema kurz und kompakt
Das Wegerisiko liegt grundsätzlich beim Arbeitnehmer; er trägt die Verantwortung und die finanziellen Folgen, wenn er wegen äußerer Umstände wie Wetter oder Verkehrsstörungen zu spät zur Arbeit kommt. [1]
Ausnahmen vom Wegerisiko bestehen, wenn der Arbeitgeber das Betriebsrisiko trägt (z.B. Arbeitsausfall wegen Problemen im Betrieb) oder wenn persönliche, unverschuldete Verhinderungsgründe beim Arbeitnehmer vorliegen (§ 616 BGB). [2,5]
Bei drohender Verspätung ist eine sofortige Information des Arbeitgebers und das Bemühen um alternative Wege ratsam; arbeitsrechtliche Konsequenzen wie Abmahnungen sind nur bei vorwerfbarem Verhalten zulässig. [5,6]
Das pünktliche Erscheinen am Arbeitsplatz ist eine vertragliche Hauptpflicht für Arbeitnehmer. Doch unvorhergesehene Ereignisse wie extreme Wetterbedingungen, Verkehrsunfälle oder Streiks können den Weg zur Arbeit erheblich erschweren oder gar unmöglich machen. Hier greift das Konzept des Wegerisikos im Arbeitsrecht. Grundsätzlich trägt der Arbeitnehmer das Risiko, rechtzeitig zur Arbeit zu gelangen. Kommt es zu Verspätungen, kann dies Lohneinbußen oder arbeitsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Wir, bei braun-legal, beraten Sie persönlich zu Ihren Rechten und Pflichten in solchen Fällen.
Das Wegerisiko verstehen: Grundlagen und gesetzliche Verankerung
Unter dem Arbeitsrecht Wegerisiko versteht man das Risiko des Arbeitnehmers, seinen Arbeitsplatz pünktlich zu erreichen. [1] Kann die Arbeit aufgrund eines Hindernisses auf dem Arbeitsweg nicht oder verspätet aufgenommen werden, gilt die Arbeitsleistung oft als unmöglich gemäß § 275 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). [1,8] Infolgedessen verliert der Arbeitnehmer grundsätzlich seinen Lohnanspruch für die ausgefallene Zeit, wie in § 326 Abs. 1 S. 1 BGB festgelegt . [1,8] Der Arbeitgeber ist dann nach dem Prinzip „ohne Arbeit kein Lohn“ zur Kürzung des Entgelts berechtigt. [1] Für eine persönliche Beratung zu Ihrem Fall stehen wir Ihnen bei braun-legal Arbeitsrecht zur Verfügung.
Dieses Prinzip wurde durch verschiedene Urteile, unter anderem vom Bundesarbeitsgericht (BAG), bestätigt. Ein bekanntes Urteil des BAG vom 8. September 1982 (5 AZR 283/80) stellte klar, dass der Arbeitnehmer auch bei extremen Schneefällen das Wegerisiko trägt und keinen Lohn für die ausgefallene Zeit erhält. [6] Es gibt jedoch Ausnahmen und spezielle Regelungen, die es zu beachten gilt.
Typische Ursachen für Leistungsstörungen und die Rolle des Wegerisikos
Zahlreiche unvorhersehbare Ereignisse können den Weg zur Arbeit behindern. Dazu zählen typischerweise der Ausfall öffentlicher Verkehrsmittel, beispielsweise durch einen Streik mit oft mehr als 90% der Verbindungen betroffen. [1] Auch Witterungsbedingungen wie Eisglätte, starker Schneefall mit Verwehungen über 50 cm oder Überschwemmungen fallen unter das Wegerisiko des Arbeitnehmers. [1] Selbst die Sperrung von Verkehrswegen durch Unfälle oder Demonstrationen, die zu Verzögerungen von über einer Stunde führen, ändern hieran nichts. [1] Die Verantwortung, trotz dieser Hindernisse pünktlich zu sein, liegt primär beim Arbeitnehmer. Erfahren Sie mehr über Ihre Rechte als Arbeitnehmer bei uns.
Öffentliche Fahrverbote, wie sie bei Smogalarm verhängt werden können, sind ebenfalls dem Wegerisiko zuzuordnen. [1] Kommt es aufgrund solcher Umstände zu einer verspäteten Arbeitsaufnahme, kann dies für den Arbeitnehmer nicht nur den Verlust des Lohnanspruchs für die versäumte Zeit bedeuten, sondern unter Umständen auch zu arbeitsrechtlichen Maßnahmen wie einer Abmahnung führen. [1,5] Eine Abmahnung ist jedoch nur bei vorwerfbarem Verhalten gerechtfertigt; ein einmaliger kurzfristiger Wintereinbruch rechtfertigt meist keine Abmahnung. [5]
Abgrenzung: Wann der Arbeitgeber das Risiko trägt (Betriebsrisiko)
Vom Wegerisiko des Arbeitnehmers ist das Betriebsrisiko des Arbeitgebers abzugrenzen. Gemäß § 615 Satz 3 BGB trägt der Arbeitgeber das Risiko des Arbeitsausfalls, wenn die Störung aus seiner Sphäre kommt. [2] Das bedeutet, wenn der Betrieb selbst aufgrund von Ereignissen wie Maschinenausfällen, Materialmangel oder beispielsweise einem Wasserschaden im Büro mit 10 cm Wasserhöhe nicht arbeiten kann, behalten die Arbeitnehmer ihren Lohnanspruch. [2] Der Arbeitgeber verwaltet den Betrieb und trägt daher das Risiko für Störungen innerhalb seines Einflussbereichs.
Kann die Arbeit wegen Witterungseinflüssen im Betrieb selbst nicht stattfinden, etwa weil benötigtes Material wegen Schnees nicht geliefert wird und die Produktion für 2 Tage stillsteht, fällt dies unter das Betriebsrisiko. [5] Die Arbeitnehmer erhalten in solchen Fällen weiterhin ihr Entgelt, auch wenn sie nicht arbeiten können. [5] Die korrekte Festlegung des Arbeitsortes im Arbeitsvertrag kann hierbei relevant werden.
Ausnahmen vom Wegerisiko: Persönliche Verhinderungsgründe nach § 616 BGB
Eine wichtige Ausnahme vom Grundsatz des Wegerisikos bildet § 616 BGB. Dieser Paragraph regelt die vorübergehende Verhinderung des Arbeitnehmers aus persönlichen Gründen. Ist der Arbeitnehmer „durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne sein Verschulden“ für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit an der Arbeitsleistung gehindert, behält er seinen Vergütungsanspruch. [5] Ein klassisches Beispiel ist die eigene Erkrankung des Arbeitnehmers für 1-2 Tage. Auch die notwendige Betreuung eines eigenen Kindes, wenn beispielsweise die Schule witterungsbedingt geschlossen bleibt und keine andere Betreuungsmöglichkeit für das 7-jährige Kind besteht, kann hierunter fallen. [5] Hier liegt der Verhinderungsgrund spezifisch in der Person des Arbeitnehmers.
Allerdings ist § 616 BGB abdingbar. Das bedeutet, durch Regelungen im Arbeitsvertrag prüfen, Tarifvertrag oder einer Betriebsvereinbarung kann der Anspruch nach § 616 BGB eingeschränkt oder sogar vollständig ausgeschlossen sein. [5] Es ist daher wichtig, die individuellen vertraglichen Vereinbarungen genau zu kennen. Wir helfen Ihnen, die Details Ihres Falls zu verstehen.
Folgende Situationen fallen typischerweise unter § 616 BGB, sofern nicht vertraglich ausgeschlossen:
Eigene akute Erkrankung (kurzzeitig, z.B. 1-3 Tage)
Pflege eines nahen Angehörigen im Sinne des Pflegezeitgesetzes (kurzzeitig)
Wahrnehmung unaufschiebbarer Arzttermine, die nicht außerhalb der Arbeitszeit möglich sind
Niederkunft der Ehefrau/Partnerin (oft 1 Tag Sonderurlaub)
Tod eines nahen Angehörigen (meist 1-2 Tage Sonderurlaub)
Unverschuldeter Verkehrsunfall auf dem Weg zur Arbeit, bei dem der Arbeitnehmer selbst verletzt wird
Diese Regelungen zeigen, dass nicht jede wetterbedingte Verspätung automatisch zum Lohnausfall führt, wenn persönliche Gründe hinzukommen.
Handlungsempfehlungen für Arbeitnehmer bei drohender Verspätung
Zeichnet sich ab, dass der Arbeitsplatz nicht pünktlich erreicht werden kann, sollten Arbeitnehmer aktiv werden. Eine unverzügliche Information des Arbeitgebers über die voraussichtliche Verspätung und deren Grund ist der erste wichtige Schritt. Dies zeugt von Verantwortungsbewusstsein und kann helfen, Missverständnisse oder arbeitsrechtliche Konsequenzen abzumildern. [6] Es ist ratsam, alternative Routen oder Verkehrsmittel zu prüfen, sofern dies zumutbar ist. Die Rechtsprechung verlangt vom Arbeitnehmer, zumutbare Anstrengungen zu unternehmen, um zur Arbeit zu gelangen. [7] Eine proaktive Kommunikation kann oft deeskalierend wirken.
Kann ein Arbeitnehmer beispielsweise nur durch ein Taxi für 80 Euro rechtzeitig zur Arbeit gelangen, während sein Tageslohn nur 100 Euro beträgt, muss er diese Kosten nicht zwingend auf sich nehmen, sollte aber den Arbeitgeber kontaktieren, um eine mögliche Kostenbeteiligung zu klären. [,ä] Das Nacharbeiten der versäumten Zeit ist eine weitere Option, die jedoch mit dem Arbeitgeber abgestimmt sein muss; ein Anspruch darauf besteht für den Arbeitnehmer nicht, ebenso wenig kann der Arbeitgeber dies einseitig anordnen, wenn der Lohn gekürzt wird. [4,7] Suchen Sie bei Unklarheiten kostenlose Erstberatung im Arbeitsrecht.
Arbeitsrecht Wegerisiko: Was Arbeitgeber beachten sollten
Auch Arbeitgeber haben Pflichten im Kontext des Wegerisikos. Obwohl das Risiko grundsätzlich beim Arbeitnehmer liegt, greift die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers. [3] Bei extremen Wetterlagen oder Katastrophen, die den Arbeitsweg für eine Vielzahl von Mitarbeitern unzumutbar machen, sollten Arbeitgeber flexible Lösungen anbieten. Dies kann die Gewährung von Homeoffice, die Zustimmung zu Gleitzeitregelungen oder im Ausnahmefall sogar die Übernahme von Kosten für alternative Transportmittel oder eine Hotelübernachtung am Arbeitsort umfassen, wenn beispielsweise 50% der Belegschaft betroffen sind. [3] Flexibilität und Verständnis können hier das Betriebsklima positiv beeinflussen.
Eine Abmahnung wegen wetterbedingter Verspätung ist nur bei wiederholtem oder vorwerfbarem Verhalten des Arbeitnehmers gerechtfertigt. [5] Wenn beispielsweise ein Arbeitnehmer trotz tagelanger Ankündigung von starkem Schneefall und entsprechenden Verkehrswarnungen keinerlei Vorkehrungen trifft und als einziger von 20 Mitarbeitern erheblich zu spät kommt, kann eine Abmahnung nach vorheriger Ermahnung in Betracht kommen. [5] Die Beratung durch einen Rechtsanwalt für Arbeitsrecht ist in solchen Fällen empfehlenswert.
Arbeitgeber sollten folgende Punkte berücksichtigen:
Prüfen, ob ein Fall des Betriebsrisikos vorliegt (z.B. Unbenutzbarkeit des Betriebsgebäudes).
Bei angekündigten extremen Wetterlagen frühzeitig Kommunikationswege für Verspätungsmeldungen festlegen.
Möglichkeiten für Homeoffice oder flexible Arbeitszeiten prüfen und anbieten, wenn betrieblich umsetzbar.
Bei wiederholten Verspätungen einzelner Mitarbeiter das Gespräch suchen, bevor arbeitsrechtliche Schritte erfolgen.
Die Regelungen des § 616 BGB im eigenen Betrieb kennen (ggf. Ausschluss durch Arbeits-/Tarifvertrag).
Bei Unfällen auf dem Arbeitsweg die Meldepflichten gegenüber der Berufsgenossenschaft beachten.
Die Rolle des Betriebsrats bei allgemeinen Regelungen zur Arbeitszeit und Ordnung im Betrieb einbeziehen.
Ein fairer Umgang mit dem Thema Wegerisiko stärkt das Vertrauen und die Mitarbeiterbindung.
Ereignet sich auf dem direkten Weg zur oder von der Arbeit ein Unfall, spricht man von einem Wegeunfall. Dieser ist in der Regel über die gesetzliche Unfallversicherung (Berufsgenossenschaft) abgedeckt. [5] Die Behandlungskosten werden übernommen, und es kann Anspruch auf Verletztengeld oder eine Verletztenrente bestehen, wenn beispielsweise eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 20% eintritt. [5] Wichtig ist, dass es sich um den direkten Weg handelt.
Bei Schnee und Glatteis können jedoch auch notwendige Umwege mitversichert sein, wenn der übliche Weg unpassierbar oder zu gefährlich ist. [5] Dies gilt beispielsweise, wenn eine Straße gesperrt ist und ein Umweg von 5 Kilometern erforderlich wird. Die genauen Umstände des Einzelfalls sind hier entscheidend. Bei Fragen zum Arbeitsvertragsrecht und Wegeunfällen beraten wir Sie gerne.
Das Arbeitsrecht Wegerisiko ist ein komplexes Feld mit vielen Facetten. Grundsätzlich trägt der Arbeitnehmer das Risiko, pünktlich zur Arbeit zu gelangen, und muss bei Verspätungen mit Lohneinbußen rechnen. [1] Ausnahmen bestehen bei persönlichen Verhinderungsgründen nach § 616 BGB oder wenn der Arbeitgeber das Betriebsrisiko trägt. [2,5] Eine klare Kommunikation und Kenntnis der eigenen Rechte und Pflichten sind für beide Seiten – Arbeitnehmer und Arbeitgeber – entscheidend. Bei braun-legal erhalten Sie eine persönliche und auf Ihren Fall zugeschnittene Rechtsberatung. Wir helfen Ihnen, die spezifischen Umstände Ihrer Situation zu bewerten und die richtigen Schritte einzuleiten, beispielsweise bei einer drohenden Kündigung durch einen Anwalt prüfen zu lassen.
Literatur
[1] Wegerisiko: Eine Definition des Begriffs im deutschen Arbeitsrecht
[2] Betriebsrisiko: Wann der Arbeitgeber den Lohn zahlen muss
[3] Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) zur Fürsorgepflicht des Arbeitgebers
[4] Wegerisiko im Arbeitsrecht: Rechte und Pflichten für Arbeitnehmer
[5] Zu spät zur Arbeit: Diese Regeln gelten für Arbeitnehmer
[6] Arbeitsrecht: Wegerisiko bei Hochwasser und Naturkatastrophen
[7] Wegerisiko bei Schnee und Eis: Was Arbeitnehmer wissen müssen
[8] Wegerisiko im Arbeitsrecht – Eine Definition
FAQ
Wer trägt das Wegerisiko bei einem Bahnstreik?
Auch bei einem Bahnstreik trägt der Arbeitnehmer das Wegerisiko. Er muss sich um alternative Transportmittel bemühen, um pünktlich zur Arbeit zu gelangen. Für die ausfallende Arbeitszeit besteht in der Regel kein Lohnanspruch.
Was ist der Unterschied zwischen Wegerisiko und Betriebsrisiko?
Das Wegerisiko betrifft Hindernisse auf dem Weg zur Arbeit und liegt beim Arbeitnehmer. Das Betriebsrisiko betrifft Störungen im Betrieb des Arbeitgebers (z.B. Stromausfall, Materialmangel) und liegt beim Arbeitgeber, der dann trotz Arbeitsausfall Lohn zahlen muss.
Muss ich bei starkem Schneefall zur Arbeit kommen?
Ja, grundsätzlich müssen Sie auch bei starkem Schneefall versuchen, zur Arbeit zu kommen. Das Wegerisiko liegt bei Ihnen. Sie sollten jedoch zumutbare Anstrengungen unternehmen und sich nicht unnötig gefährden. Informieren Sie Ihren Arbeitgeber bei Problemen.
Gilt Homeoffice als Alternative bei Problemen mit dem Wegerisiko?
Homeoffice kann eine Alternative sein, es besteht aber kein automatischer Anspruch darauf, wenn der Arbeitsweg erschwert ist. Dies muss mit dem Arbeitgeber vereinbart werden. Viele Arbeitgeber zeigen sich hier jedoch flexibel.
Was passiert, wenn ich wegen eines Staus durch einen Unfall zu spät komme?
Auch ein Stau durch einen Unfall fällt unter das Wegerisiko des Arbeitnehmers. Sie müssen mit solchen Ereignissen rechnen und gegebenenfalls mehr Zeit einplanen. Für die Verspätung gibt es in der Regel keinen Lohn.
Kann mein Arbeitsvertrag Regelungen zum Wegerisiko enthalten?
Ja, Ihr Arbeitsvertrag oder ein anwendbarer Tarifvertrag kann Regelungen enthalten, die § 616 BGB (Vergütung bei persönlicher Verhinderung) modifizieren oder ausschließen. Es ist wichtig, diese Klauseln zu kennen.