Lebensversicherung im Erbfall: So sichern Sie Ihren Anspruch außerhalb des Nachlasses
Ein Mandant schloss eine Lebensversicherung über 250.000 € ab, um seine Tochter abzusichern. Nach seinem Tod zählte die Versicherungssumme jedoch plötzlich zur Erbmasse, und der Pflichtteil wurde neu berechnet. Ein häufiger Irrtum, der zeigt, dass die Auszahlung einer Lebensversicherung komplexer ist als gedacht.
Das Thema kurz und kompakt
Eine Lebensversicherungsauszahlung an einen Begünstigten fällt zwar nicht in den Nachlass, löst aber oft Pflichtteilsergänzungsansprüche aus.
Für die Berechnung des Pflichtteilsanspruchs ist der Rückkaufswert der Police zum Todeszeitpunkt entscheidend, nicht die Versicherungssumme.
Die Auszahlung ist für den Begünstigten immer erbschaftssteuerpflichtig, auch wenn sie zivilrechtlich außerhalb des Nachlasses erfolgt.
Viele glauben, eine Lebensversicherung mit einem klar benannten Begünstigten sei vor erbrechtlichen Ansprüchen sicher. Doch die Realität sieht oft anders aus. Auch wenn die Versicherungssumme nicht direkt in den Nachlass fällt, können enterbte Angehörige häufig Pflichtteilsergänzungsansprüche geltend machen. Diese Ansprüche können die ausgezahlte Summe um 25 % oder mehr reduzieren. Wir erklären Ihnen die Rechtslage, zeigen anhand von Fallbeispielen, wie Sie Ihre Ansprüche aus einer Lebensversicherung außerhalb des Nachlasses im Erbfall geltend machen und wie Sie sich als Versicherungsnehmer vorausschauend absichern.
Die Grundlage verstehen: Warum die Versicherungssumme nicht automatisch sicher ist
Stirbt der Versicherungsnehmer, fällt die Leistung aus einer Lebensversicherung nicht automatisch in den Nachlass. [2] Hat der Verstorbene einen Begünstigten benannt, entsteht ein direkter Auszahlungsanspruch des Begünstigten gegen die Versicherung. Juristisch wird dieser Vorgang als Schenkung auf den Todesfall gewertet. [5] Genau hier liegt der Kern des Problems: Diese Schenkung kann bei anderen Erben, insbesondere Kindern und Ehegatten, sogenannte Pflichtteilsergänzungsansprüche nach § 2325 BGB auslösen. Dadurch kann der Begünstigte bis zu 50 % der Versicherungssumme an pflichtteilsberechtigte Erben verlieren. Eine sorgfältige Prüfung Ihrer erbrechtlichen Situation ist daher unerlässlich. Dieser Mechanismus schützt nahe Angehörige davor, durch Schenkungen kurz vor dem Tod übergangen zu werden.
Den Pflichtteilsergänzungsanspruch korrekt berechnen
Der Pflichtteilsergänzungsanspruch richtet sich nicht, wie oft angenommen, nach der vollen Versicherungssumme. Ein wegweisendes Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 28. April 2010 (Az. IV ZR 230/08) hat hierfür Klarheit gesorgt. [2] Maßgeblich ist der Wert, den der Erblasser in der letzten Sekunde seines Lebens hätte realisieren können – in der Regel der Rückkaufswert der Police. [6] Beträgt der Rückkaufswert beispielsweise 80.000 € und die Pflichtteilsquote eines enterbten Kindes 25 %, beläuft sich der Anspruch auf 20.000 €. Die frühere Praxis, nur die eingezahlten Prämien anzusetzen, wurde mit diesem Urteil beendet. Für die genaue Bezifferung ist oft eine Auskunft der Versicherung über den exakten Rückkaufswert zum Todestag notwendig. Mehr Informationen finden Sie unter Pflichtteilsrecht.
Widerruflich vs. Unwiderruflich: Ein entscheidender Unterschied
Die Art des Bezugsrechts hat erhebliche Konsequenzen für alle Beteiligten. Über 95 % aller Policen nutzen ein widerrufliches Bezugsrecht. Hierbei gilt die Schenkung erst mit dem Tod des Versicherungsnehmers als vollzogen. Die Erben können unter Umständen das der Auszahlung zugrunde liegende Schenkungsangebot widerrufen, bevor der Begünstigte es angenommen hat. [1] Dies führt zu einem Wettlauf zwischen Erben und Begünstigtem. Bei einem unwiderruflichen Bezugsrecht hingegen geht der Anspruch sofort und endgültig auf den Begünstigten über. Die Schenkung gilt damit bereits zu Lebzeiten als ausgeführt, was die 10-Jahres-Frist für die Pflichtteilsergänzung auslöst. Nach Ablauf dieser Frist können keine Ansprüche mehr geltend gemacht werden, was im Blog zum Pflichtteil weiter vertieft wird.
Steuerliche Fallstricke bei der Auszahlung vermeiden
Ein häufiger Fehler ist die Annahme, dass eine Lebensversicherung außerhalb des Nachlasses auch steuerfrei ist. Das ist falsch. Gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 4 Erbschaftsteuergesetz (ErbStG) unterliegt der Erwerb durch den Begünstigten der Erbschaftssteuer. [3] Die Höhe der Steuer hängt vom Verwandtschaftsgrad und den persönlichen Freibeträgen ab. Ein Kind hat einen Freibetrag von 400.000 €, eine Nichte jedoch nur 20.000 €. Eine Auszahlung von 150.000 € an eine Nichte würde also zu einer erheblichen Steuerlast führen. Die Steuerpflicht besteht unabhängig von zivilrechtlichen Pflichtteilsansprüchen. Eine vorausschauende Planung der Erbschaftssteuer ist daher entscheidend. Die Steuerklasse II (z.B. für Geschwister, Nichten) hat Steuersätze, die bei 15 % beginnen und schnell auf 30 % ansteigen.
Als Erbe Ansprüche aktiv durchsetzen: Eine Anleitung
Wenn Sie als pflichtteilsberechtigter Erbe vermuten, dass eine Lebensversicherung an einen Dritten ausgezahlt wurde, müssen Sie aktiv werden. Die Verjährungsfrist für diese Ansprüche beträgt nur drei Jahre ab Kenntnis des Erbfalls. So gehen Sie vor:
Auskunft verlangen: Fordern Sie den Begünstigten schriftlich zur Auskunft über die Versicherung, die Höhe der Leistung und den Rückkaufswert zum Todestag auf.
Anspruch berechnen: Ermitteln Sie auf Basis des Rückkaufswerts und Ihrer Pflichtteilsquote die genaue Höhe Ihres Ergänzungsanspruchs.
Zahlung fordern: Setzen Sie dem Begünstigten eine Frist zur Zahlung des berechneten Betrags.
Klage erheben: Reagiert der Begünstigte nicht, bleibt nur der Klageweg, um die Verjährung zu hemmen.
Eine professionelle Nachlassabwicklung hilft, diese Schritte korrekt und fristgerecht umzusetzen.
Als Versicherungsnehmer Streit proaktiv verhindern
Um zukünftigen Streit zu vermeiden, sollten Sie als Versicherungsnehmer Ihre Verträge und Ihren letzten Willen aufeinander abstimmen. Eine klare Regelung kann tausende Euro an Anwalts- und Gerichtskosten sparen. Beachten Sie folgende Punkte:
Transparenz schaffen: Informieren Sie Ihre Erben über die Existenz der Lebensversicherung und die Gründe für die Begünstigung.
Unwiderrufliches Bezugsrecht prüfen: Ein unwiderrufliches Bezugsrecht kann Pflichtteilsergänzungsansprüche nach 10 Jahren ausschließen, schränkt aber Ihre Flexibilität stark ein.
Anrechnung anordnen: Sie können im Testament oder Erbvertrag festlegen, dass sich der Begünstigte die Zuwendung auf seinen Pflichtteil anrechnen lassen muss.
Vertragliche Gestaltung anpassen: Prüfen Sie, ob die Einsetzung des Testamentsvollstreckers als Begünstigter eine Option ist, um eine geregelte Verteilung sicherzustellen.
Eine umfassende Vorsorgeberatung stellt sicher, dass Ihr Wille auch wirklich umgesetzt wird.
Literatur
FAQ
Was ist ein Pflichtteilsergänzungsanspruch im Zusammenhang mit einer Lebensversicherung?
Es ist der Anspruch eines pflichtteilsberechtigten Erben (z.B. Kind, Ehegatte), einen Ausgleich für eine Schenkung zu verlangen, die der Erblasser zu Lebzeiten gemacht hat. Die Einsetzung eines Begünstigten in einer Lebensversicherung wird als solche Schenkung gewertet, weshalb der Pflichtteilsberechtigte einen Teil des Versicherungswertes (bemessen am Rückkaufswert) vom Begünstigten fordern kann.
Welchen Wert der Lebensversicherung muss ich für den Pflichtteil ansetzen?
Laut BGH-Rechtsprechung ist der maßgebliche Wert für die Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs der Rückkaufswert der Versicherung zum Todeszeitpunkt des Versicherungsnehmers.
Muss ich als Begünstigter die Erben über die Auszahlung informieren?
Gesetzlich besteht keine proaktive Informationspflicht. Pflichtteilsberechtigte Erben haben jedoch einen Auskunftsanspruch gegen Sie. Wenn Sie zur Auskunft aufgefordert werden, müssen Sie die Höhe der Leistung und den Namen der Versicherung mitteilen.
Verjähren meine Ansprüche als pflichtteilsberechtigter Erbe?
Ja, der Pflichtteilsergänzungsanspruch verjährt in der Regel drei Jahre nach dem Schluss des Jahres, in dem der Erbe vom Erbfall und der ihn beeinträchtigenden Schenkung (also der Lebensversicherung) Kenntnis erlangt hat.
Was kann ich tun, um Streit um meine Lebensversicherung zu vermeiden?
Sorgen Sie für klare Verhältnisse. Sprechen Sie mit Ihren Erben, prüfen Sie die Vor- und Nachteile eines unwiderruflichen Bezugsrechts und stimmen Sie die Regelungen in der Police mit Ihrem Testament ab. Eine professionelle Beratung durch unsere Experten für Erbrecht und Vorsorge hilft, Fallstricke zu umgehen.
Wie kann braun-legal mir helfen?
Wir verbinden Sie persönlich mit erfahrenen Anwälten für Erbrecht. Unsere Experten analysieren Ihren Fall, berechnen Ansprüche präzise und helfen Ihnen, Ihr Recht durchzusetzen – egal ob Sie Begünstigter oder Erbe sind. Vereinbaren Sie jetzt eine persönliche Beratung.