Testierfähigkeit prüfen: So sichern Sie das Erbe mit einem Gutachten ab
Ihr Onkel ändert plötzlich sein Testament zugunsten einer neuen Bekanntschaft und Sie zweifeln an seiner geistigen Verfassung? Solche Fälle nehmen zu und führen oft zu jahrelangen Erbstreitigkeiten. Erfahren Sie, wie Sie die Testierfähigkeit eines älteren Verwandten medizinisch begutachten lassen können, um Klarheit zu schaffen und den letzten Willen wirklich zu schützen.
Das Thema kurz und kompakt
Die Testierfähigkeit wird gesetzlich vermutet; die Testierunfähigkeit muss von demjenigen bewiesen werden, der sich darauf beruft.
Ein zu Lebzeiten erstelltes, fachärztliches Gutachten ist das stärkste Beweismittel, um ein Testament vor späteren Anfechtungen zu schützen.
Die Kosten eines Gutachtens (ca. 800-3.500 €) sind deutlich geringer als die eines Erbstreits, der schnell über 20.000 € kosten kann.
Die Frage der Testierfähigkeit eines älteren Angehörigen ist emotional und rechtlich komplex. Einerseits möchte man den Willen des Erblassers respektieren, andererseits bestehen oft berechtigte Zweifel, ob Entscheidungen noch frei von geistigen Einschränkungen oder fremder Einflussnahme getroffen werden. Laut § 2229 BGB ist die freie Willensbildung entscheidend, doch Krankheiten wie Demenz, die über 50 % der über 90-Jährigen betrifft, können diese trüben. Ein medizinisches Gutachten ist oft der einzige Weg, um die Testierfähigkeit objektiv zu klären und spätere, kostspielige Anfechtungen des Testaments zu vermeiden. Wir zeigen Ihnen, wie Sie diesen Prozess angehen.
Die rechtlichen Grundlagen der Testierfähigkeit verstehen
Die Fähigkeit, ein Testament zu errichten, ist im deutschen Erbrecht klar geregelt. Laut § 2229 BGB gilt grundsätzlich jeder als testierfähig, der das 16. Lebensjahr vollendet hat. Entscheidend ist nicht die Vernunft einer Entscheidung, sondern die Freiheit des Willensentschlusses. Das Gesetz schließt jedoch Personen aus, die wegen einer krankhaften Störung der Geistestätigkeit, Geistesschwäche oder Bewusstseinsstörung nicht mehr verstehen, was sie mit ihrem Testament bewirken. Wichtig ist hierbei, dass eine Diagnose wie Demenz nicht automatisch zur Testierunfähigkeit führt. Es muss im Einzelfall geprüft werden, ob die Erkrankung die freie Willensbildung zum Zeitpunkt der Testamentserstellung tatsächlich ausgeschlossen hat. Um Fehler im Testament zu vermeiden, ist eine genaue Kenntnis dieser Regeln entscheidend. Diese juristische Abgrenzung ist die Basis für alle weiteren Schritte.
Warnsignale für eine verminderte Testierfähigkeit erkennen
Angehörige bemerken Veränderungen oft als Erste, tun sie aber manchmal als „Altersstarrsinn“ ab. Es gibt jedoch konkrete Anzeichen, die auf eine mögliche Testierunfähigkeit hindeuten und ernst genommen werden sollten. Achten Sie auf eine Kombination der folgenden Symptome:
Starke Vergesslichkeit, insbesondere bei kurz zurückliegenden Ereignissen.
Plötzliche und unerklärliche Änderungen von langjährigen Überzeugungen.
Wahnvorstellungen oder grundloses Misstrauen gegenüber vertrauten Personen.
Orientierungslosigkeit in Bezug auf Zeit, Ort oder die eigene Person.
Unfähigkeit, komplexe Informationen zu verstehen und abzuwägen.
Starke Beeinflussbarkeit durch Dritte, die zu uncharakteristischen Entscheidungen führt.
Bereits das Vorliegen von zwei oder drei dieser Punkte sollte Anlass sein, eine fachliche Klärung in Erwägung zu ziehen. Eine wirksame Patientenverfügung kann ebenfalls wichtige Hinweise auf den Willen der Person geben. Das frühzeitige Erkennen dieser Signale ist der erste Schritt, um den wahren Willen des Erblassers zu schützen.
Das medizinische Gutachten proaktiv zur Rechtssicherheit einholen
Der sicherste Weg, die Testierfähigkeit festzustellen, ist ein Gutachten zu Lebzeiten des Erblassers. Ein solches privates Gutachten, das vom Testierenden selbst in Auftrag gegeben wird, schafft eine solide Beweisgrundlage für den Notar und das spätere Nachlassgericht. Die Kosten für ein solches Gutachten können zwischen 800 € und über 3.000 € liegen, abhängig vom Aufwand. Diese Investition ist gering im Vergleich zu den Prozesskosten eines Erbstreits, die schnell 20.000 € übersteigen können. Zuständig für die Erstellung sind ausschließlich Fachärzte für Psychiatrie oder Neurologie, da die Einschätzung eines Hausarztes vor Gericht oft nicht ausreicht. Mit einer umfassenden Vorsorgeberatung können Sie diesen Schritt optimal vorbereiten. So wird aus einem potenziellen Konflikt eine klare und unanfechtbare Regelung.
Der Ablauf einer fachärztlichen Begutachtung im Detail
Ein Gutachten zur Testierfähigkeit ist ein strukturierter Prozess, der mehrere Stunden in Anspruch nehmen kann. Ein qualifizierter Facharzt wird dabei systematisch vorgehen, um ein objektives Bild zu erhalten. Der typische Ablauf umfasst mehrere Schritte:
Anamnese: Der Gutachter sichtet alle verfügbaren medizinischen Unterlagen, wie Arztbriefe und Pflegedokumentationen der letzten Jahre.
Exploration: In einem ausführlichen Gespräch mit dem Erblasser prüft der Arzt dessen Orientierung, Auffassungsgabe und Gedächtnisleistung.
Neuropsychologische Tests: Standardisierte Tests wie der Mini-Mental-Status-Test (MMST) oder der Uhrentest objektivieren kognitive Defizite.
Fremdanamnese: Gespräche mit nahen Angehörigen oder Pflegekräften liefern wichtige Einblicke in das Alltagsverhalten des Erblassers.
Gutachtenerstellung: Der Arzt fasst alle Befunde zusammen und gibt eine fundierte Einschätzung zur Testierfähigkeit zum Untersuchungszeitpunkt ab.
Ein professionell erstelltes Anwalts-Testament in Verbindung mit einem solchen Gutachten bietet die höchste Sicherheit. Dieser detaillierte Prozess stellt sicher, dass die finale Einschätzung auf einer breiten und validen Datenbasis beruht.
Handlungsoptionen, wenn das zweifelhafte Testament bereits existiert
Ist der Erbfall bereits eingetreten und es liegt ein Testament vor, an dessen Gültigkeit Sie zweifeln, bleibt nur der Weg der Anfechtung. Hierbei liegt die Beweislast vollständig bei Ihnen als Anfechtendem. Sie müssen dem Nachlassgericht nachweisen, dass der Erblasser zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung testierunfähig war. Dies geschieht meist durch ein posthumes (nachträgliches) Gutachten. Der Sachverständige muss die Testierfähigkeit dann auf Basis alter Krankenakten, Pflegedokumentationen und Zeugenaussagen rekonstruieren. Ohne stichhaltige ärztliche Dokumentation aus der Zeit der Testamentserstellung scheitern über 70 % dieser Anfechtungsklagen. Ein erfolgreiches Anfechten des Testaments erfordert daher eine sehr gute Beweislage. Die nachträgliche Beweisführung ist also deutlich schwieriger als die proaktive Klärung.
Die entscheidende Rolle von Notar und Nachlassgericht
Bei der Beurkundung eines Testaments hat der Notar eine Prüfpflicht. Er muss sich von der Testierfähigkeit des Erblassers überzeugen, ist aber kein Mediziner. Seine Prüfung beschränkt sich auf eine Plausibilitätskontrolle und die Dokumentation seiner eigenen Wahrnehmung. Ein notarielles Testament hat daher eine hohe Richtigkeitsvermutung, was eine spätere Anfechtung erschwert. Stellt das Nachlassgericht nach dem Erbfall jedoch von Amts wegen Anhaltspunkte für eine Testierunfähigkeit fest, muss es selbst ein Gutachten in Auftrag geben. Die Kosten für dieses gerichtlich angeordnete Gutachten trägt der Nachlass, was das Erbe aller Beteiligten um mehrere tausend Euro schmälern kann. Eine frühzeitige anwaltliche Beratung im Erbrecht hilft, die Weichen richtig zu stellen. Die Einschaltung offizieller Instanzen verlagert die Verantwortung, aber nicht unbedingt die Kosten.
Die Kosten für ein medizinisches Gutachten zur Testierfähigkeit sind eine häufige Sorge. Ein privat in Auftrag gegebenes Gutachten kostet, je nach Komplexität, zwischen 800 und 3.500 Euro und muss vom Auftraggeber bezahlt werden. Ein vom Gericht angeordnetes Gutachten im Rahmen eines Erbstreits wird aus dem Nachlass beglichen. Diese Summe erscheint zunächst hoch, ist aber eine sinnvolle Investition in die Rechtssicherheit. Ein durchschnittlicher Erbprozess über zwei Instanzen verursacht Kosten von 15.000 bis 30.000 Euro, also das 5- bis 10-fache eines Gutachtens. Die Vermeidung eines solchen Konflikts schont nicht nur das Erbe, sondern auch die familiären Beziehungen. Die genauen Kosten eines Erbrechtsanwalts können Sie in einem Erstgespräch klären. Die finanzielle Planung dieses Schrittes ist somit ein wichtiger Teil der gesamten Vorsorgestrategie.
Unser Mandant, Herr K., bemerkte, dass sein 85-jähriger Vater mit beginnender Demenz sein Testament zugunsten einer Pflegekraft ändern wollte, die er erst seit drei Monaten kannte. Herr K. überzeugte seinen Vater, seine Testierfähigkeit von einem Facharzt prüfen zu lassen. Das Gutachten kostete 2.500 € und bescheinigte eine partielle Testierunfähigkeit, da der Vater die Tragweite der Enterbung seiner Kinder nicht mehr vollständig überblickte. Daraufhin wurde unter Einbeziehung eines Notars und des Gutachtens ein neues, unanfechtbares Testament errichtet, das den ursprünglichen Willen des Vaters widerspiegelte. Ohne dieses Vorgehen wäre ein Prozess um das Erbe von 300.000 € unausweichlich gewesen, mit Prozesskosten von geschätzt 50.000 €. Eine Betreuungsverfügung wurde bei dieser Gelegenheit ebenfalls eingerichtet. Dieser Fall zeigt, wie proaktives Handeln Vermögen und Familienfrieden sichert.
Literatur
FAQ
Mein Angehöriger hat eine Betreuung. Ist er automatisch testierunfähig?
Nein, die Einrichtung einer rechtlichen Betreuung führt nicht automatisch zur Testierunfähigkeit. Die Testierfähigkeit ist eine davon unabhängige rechtliche Kategorie, die gesondert geprüft werden muss. Selbst ein Einwilligungsvorbehalt in Vermögensangelegenheiten hebt die Testierfähigkeit nicht auf.
Was ist der Unterschied zwischen Geschäftsfähigkeit und Testierfähigkeit?
Die Testierfähigkeit ist ein Sonderfall der Geschäftsfähigkeit. Die Anforderungen an die Testierfähigkeit sind geringer. Eine Person kann also bereits geschäftsunfähig sein, aber immer noch die Fähigkeit besitzen, ein wirksames Testament zu errichten, solange sie die Bedeutung ihrer Verfügung versteht.
Wie lange ist ein Gutachten zur Testierfähigkeit gültig?
Ein Gutachten ist eine Momentaufnahme. Es bescheinigt die Testierfähigkeit zum Zeitpunkt der Untersuchung. Idealerweise sollte das Testament sehr zeitnah nach der Begutachtung errichtet werden, am besten innerhalb weniger Tage, um die Aussagekraft des Gutachtens zu maximieren.
Kann ein Hausarzt die Testierfähigkeit bestätigen?
Ein Hausarzt kann als sachverständiger Zeuge wichtige Beobachtungen zum Gesundheitszustand liefern. Für ein rechtssicheres Gutachten, das vor Gericht Bestand hat, ist jedoch die Expertise eines Facharztes für Psychiatrie, Psychotherapie oder Neurologie erforderlich.
Was passiert, wenn ein Testament wegen Testierunfähigkeit für ungültig erklärt wird?
Wird ein Testament erfolgreich angefochten und für unwirksam erklärt, tritt die gesetzliche Erbfolge in Kraft, so als hätte es kein Testament gegeben. Existiert ein früheres, gültiges Testament, so erlangt dieses seine Wirksamkeit zurück.
Wer trägt die Beweislast für die Testierunfähigkeit?
Grundsätzlich wird jeder Volljährige als testierfähig angesehen. Die Beweislast für das Vorliegen einer Testierunfähigkeit liegt immer bei der Person, die die Unwirksamkeit des Testaments geltend macht. Sie muss das Gericht davon überzeugen, dass die Testierunfähigkeit zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung vorlag.